Pseudoscience?
Der Ausdruck #Entourage-Effekt trat das erste Mal im Juli 1998 im European Journal of Pharmacology auf und beschrieb damals die Effektsteigerung des körpereigenen Cannabinoids 2-Arachidonyl-Glycerin (2-AG), wenn dieses mit bestimmten Estern von Fettsäuren zusammengebracht wurde.
Shimon Ben-Shabat und Raphael Mechoulam, der Entdecker der Cannabinoide und des Endocannabinoidsystems (endo=körpereigen/körperintern), untersuchten zusammen mit ihrer Arbeitsgruppe den Einfluss von zwei 2-Acyl-Glycerinestern, die natürlich im Körper vorkommen, auf das Endocannabinoid 2-AG. Keine der beiden Ester konnte die Endocannabinoidrezeptoren CB1 und CB2 aktivieren. Wenn diese jedoch einzeln oder gemeinsam mit 2-AG zusammengebracht wurden, zeigte sich eine deutlich höhere biologische Aktivität des Endocannabinoids. Aufgrund der Ergebnisse beschrieben die beiden Wissenschaftler den Entourage Effekt.
Infolge der Jahre wurde der Begriff von Nutzer:innen immer mehr dafür verwendet die Interaktionen bzw. Synergie (=Zusammenwirken/gegenseitig fördern) der verschiedenen Phytochemikalien (Wirkstoffe) der Cannabispflanze zu beschreiben. Patienten berichten zum Beispiel immer wieder, dass sie durch die Einnahme eines Vollspektrums bzw. einer Blüte eine deutlich bessere Wirkung erfahren, als wenn ein Cannabinoid in Reinform eingenommen wird. Die Wirkung von THC das mit CBD eingenommen wird, wird zumeist auch als angenehmer beschrieben.
Auf der anderen Seite ist der Entourage Effekt aus wissenschaftlicher Sicht leider noch nicht ausreichend bewiesen. Zu wenige intensiv-klinische Studien wurden durchgeführt. Der Entourage Effekt ist für die Pharmakologie etwas völlig Neuartiges. Eigentliche Medikamente wirken sehr spezifisch und werden auch so entwickelt. Cannabis wird somit als „Dirty-Drug“ betitelt, weil es mit seiner Vielzahl an Wirkstoffen wie zum Beispiel Cannabinoide, Terpene, Flavonoide und Thiole sehr divers auf den Körper und seine verschiedenen Systeme einwirkt. In der Literatur findet man daher oft den Ausdruck polypharmakologisch (poly=viel).
Auch die enge Verknüpfung des Entourage Effekts mit dem Ausdruck der Synergie ist pharmakologisch irreleitend. Synergien entstehen nach Definition immer am selben Rezeptorsystem (Rezeptor=Protein an dem Moleküle binden und eine Reaktion hervorrufen können) und impliziert eine Verstärkung. Die Gesamtheit der Phytochemikalien wirkt jedoch auf diverse Rezeptorsysteme ein. Dazu müssen sich Komponente nicht zwangsläufig verstärken, wie es bei Synergien der Fall wäre, sondern können auch hemmend (antagonistisch) wirken.
Viele Wissenschaftler stellen sich gegen die Betitelung, der Begriff sei auf der Klippe zur pseudo-Science und bloß ein Werkzeug der Industrie ihre Produkte besser verkaufen zu können. Es gibt aber nicht nur Gegner. Immer öfter werden Studien zum Entourage Effekt angelegt. Es konnte z.B. gezeigt werden, dass ein einzelnes Terpen in Kombination mit einem Cannabinoid wie THC, die Wirkung bei bestimmten Krankheiten signifikant verbesserte.
Auch wenn es manchmal nicht förderlich ist die Bedeutung eines Begriffs zu ändern, hat es sich in den Naturwissenschaften schon oft als nötig erwiesen bestehende Systeme zu ergänzen oder sogar komplett zu ändern. So sollte der Entourage Effekt nicht nur für die Beschreibung der Effektsteigerung zwischen Endocannabinoid und Ester genutzt werden wie es damals der Fall war, sondern auch für die, der einzelnen Wirkstoffe der Cannabispflanze.
Autor: Tino Klingbeil | IUVO – It´s not for everyone
Some of the Parts: Is Marijuana's "Entourage Effect" Scientifically Valid? | Scientific American
